Ausgewählte Rezensionen zu unserem Programm

Das Alte Lied

Eine Rezension zu „Zarah 47“ am Piccolo Teatro

 

Zwei düster gekleidete Gestalten stehen vor der verschlossenen Türe. Sie scheinen ratlos. Als wir sie fragen, ob das Theater so kurz vor der Vorstellung noch geschlossen sei, stellt sich heraus, dass die Vorstellung bereits seit beinahe einer Stunde läuft. Es gab ein Kommunikationsproblem, die Vorverlegung der Vorstellung ist nicht auf allen Kanälen angekommen. Von drinnen hören wir Applaus. Wir sind etwas unschlüssig, was nun zu tun ist. Ich bin aus Gera angereist, um Aranea Peel auf der Bühne dieses Bremerhaver Kleinods sehen zu können. Die beiden dunklen Gestalten aus Wiesbaden. Einfach von Dannen ziehen ist also keine Option. Also verlängern wir unseren Aufenthalt im hohen Norden kurzerhand um einen Tag. Um Aranea Peel zu sehen, im Piccolo Teatro Haventheater.


           Aranea Peel ist Sängerin. „Grausame Töchter“ heißt ihre EBM-Industrial-Electro-Band, deretwegen man also von Wiesbaden und Gera aus nach Bremerhaven kommt. Sie spielt in „Zarah 47 – Das totale Lied“, geschrieben vom ehemaligen UdK-Professor Peter Lund, die schwedische Filmikone des Dritten Reichs Zarah Leander. An ihrem 40. Geburtstags sehen wir sie in ihrem Landhaus in Schweden, es ist 1947. Keiner ruft an. Und so lässt Leander ihr Leben Revue passieren, erinnert sich an Höhe- und Tiefpunkte, hadert mit dem gesellschaftlichen Urteil, das wegen ihrer Erfolge als Schauspielerin im NS-Regime auf ihr lastet. Die Szenen ihrer Erinnerungen wechseln sich ab mit den Liedern Leanders, in dieser Inszenierung auf dem Klavier trefflich begleitet von Regisseur Hans-Jürgen Osmers. Und so, wie sich Spiel und Gesang hier umkreisen, so wohnt auch dem Abend als Ganzem ein Oszillieren zwischen freudvollem Spaß und beißendem Schmerz inne. Die Leanderschen Lieder singt Peel mit Wucht und doppeltem Boden – mit aus Schmerz geborener Härte, die in diesen bisweilen lächelnd erscheinenden Liedern einen Abgrund erahnen lassen. Am eindrucksvollsten entfaltet sich das bei „Nur nicht aus Liebe weinen“. Den in diesem einerseits so lebensbejahenden Werk bereits im Text angelegten verzweifelten Seufzer formt Peel zu einer bitteren Träne – dem Resultat all der Umarmungen, die schließlich doch ins Leere griffen.


Aranea Peel, das ist von der ersten Sekunde ihres Auftrittes an spürbar, atmet Bühne. In scheinbar völliger Souveränität beherrscht sie Körper, Sprache, Blick. Der ungeheuren Charmanz Peels kann man sich kaum entziehen, und so schaut man von Anfang bis zum Schluss freudvoll einer energiegeladenen Darbietung zu, die uns den Zweifel, den inneren Kampf der Zarah Leander erlebbar macht – und den bittersüßen Klang ihrer Lieder.


Nach der Vorstellung kommt man wieder zusammen – die beiden Wiesbadener Gestalten, der Regisseur aus Gera, und die Schauspielerin aus Worpswede. Man sitzt zurate. Ob sie sich wohl gelohnt hat, die Verlängerung des Aufenthaltes in Bremerhaven? Die Frage stellt sich kaum. Wir sind froh, sehr froh, diesen Abend erlebt haben zu dürfen.

 

 

Jonathan Gruner


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